Der Kriegszustand – Statistik der Repression

Der Kriegszustand – Statistik der Repression

Andrzej Friszke. Prof. Dr. habil. Professor am Institut für Politikwissenschaften der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Dozent des Collegiums Civitas, Mitherausgeber der Zeitschrift „Więź“, Präsident der Gesellschaft Archiwum Solidarności, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für das Publikationsprojekt „Opposition in der Volksrepublik Polen. Ein biographisches Lexikon 1956-1989“. Er war 1981 Chefredakteur der Abteilung Geschichte des „Wochenblatts Solidarność“, von 1990 bis 2006 Mitglied des Kollegiums des Instituts für Nationales Gedenken, seit 2011 des Rats dieses Instituts. Er ist Verfasser vieler Arbeiten zur polnischen Zeitgeschichte, darunter „Die politische Opposition in der Volksrepublik Polen 1945-1980“ (1994), „Die Oase in der Copernicus-Str. Der Klub der Katholischen Intelligenz 1956-1989“ (1997), „Polen – das Schicksal von Staat und Nation 1939-1989“ (2003), „Die Unbeugsamen. Gespräche über das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (zusammen mit Andrzej Paczkowski, 2008), „Anatomie eines Aufstands. Kuroń, Modzelewski und die ‚Elitekämpfer‘“ (2010), Herausgeber und Ko-Autor des Werks „Die Solidarität im Untergrund 1981-1989“ (2006).

In der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 1981 wurde die zuvor in der Sowjetunion gedruckte Bekanntmachung über die vom Staatsrat in seiner Sitzung in dieser Nacht beschlossene Verhängung des Kriegsrechts im ganzen Land plakatiert. Jegliche Versammlungen, Umzüge, Demonstrationen und Streiks wurden verboten, ebenso die Verbreitung von Druckerzeugnissen und Informationen ohne „Erlaubnis der entsprechenden Organe“; eingeführt wurden eine Polizeistunde von 22.00 bis 6.00 Uhr, das Verbot für alle Bürger, sich frei im Lande zu bewegen, sowie die Zensur von Postsendungen und Telefongesprächen; die Telefonverbindungen wurden vorläufig unterbrochen. Die Aktivitäten von Gewerkschaften sowie von gesellschaftlichen Vereinigungen und Organisationen waren ausgesetzt. Bürger im Alter über siebzehn Jahren konnten auf Beschluss des Wojewodschaftskommandanten der Miliz für die Dauer des Kriegszustandes interniert werden, wenn „es den begründeten Verdacht gibt, dass sie in Freiheit die Rechtsordnung missachten oder in einer Weise tätig werden, welche die Sicherheitsinteressen und die Verteidigungsbereitschaft des Landes bedrohen“. Das Dekret enthielt auch Strafbestimmungen für den Fall von Verletzungen der Kriegsrechtsbestimmungen. So wurde für die Fortsetzung gewerkschaftlicher Tätigkeit eine Strafe von bis zu 3 Jahren Gefängnis angedroht, für die Durchführung von Streiks (oder anderen Protestaktionen) sowie für die Anstiftung dazu bis zu 5 Jahren, für die Verbreitung von Druckerzeugnissen, die von der Zensur verboten waren, bis zu 10 Jahren. Dies waren die wichtigsten Bestimmungen des Kriegsrechtsdekrets, auf deren Grundlage in der Folge die Gerichte vorgingen.

Ein weiteres Dekret des Staatsrats übertrug der Militärgerichtsbarkeit die Strafverfolgung für bestimmte Vergehen. Einige Vergehen gegen das Kriegsrechtsdekret sollten in Schnellverfahren abgeurteilt werden, wobei grundsätzlich höhere Strafen vorgesehen waren – im geringsten Fall 3 Jahre Haft, im äußersten Fall 25 Jahre Haft oder gar die Todesstrafe. Das Schnellverfahren galt u.a. für Fälle der Anführung von Streiks und der Beteiligung an geheimen Organisationen. Das im Schnellverfahren gefällte Urteil war endgültig; es gab keine Möglichkeit, bei einer nächsthöheren Instanz Berufung einzulegen. Es wurden ferner vereinfachte Verfahren bei Straftaten eingeführt, für die eine Haftstrafe bis zu 3 Jahren drohte. In solchen Fällen bedurfte die Anklage keiner Begründung, und das Gericht konnte in Abwesenheit des Angeklagten urteilen. Darüber hinaus konnten Gerichte in einem beschleunigten Verfahren Strafen bis zu 2 Jahren Haft verhängen, z.B. gegen Personen, die auf „frischer Tat“ bei der Teilnahme an einer Demonstration gefasst worden waren[1]. Verschiedene andere Übertretungen – z.B. Missachtung der Polizeistunde oder der Einschränkungen der Bewegungsfreiheit – sollten vor Kammern für Ordnungswidrigkeiten verhandelt werden.

Die Internierten

Die präventive Inhaftierung von Solidarnosc-Funktionären war einer der wichtigsten Bestandteile des Kriegsrechtsszenarios, an dem die Machthaber bereits seit Herbst 1980 gearbeitet hatten. Schon während der sog. Registrierungskrise im Oktober 1980 hatten die Wojewodschaftskommandanturen der Miliz Listen von 1200 zu verhaftenden Personen erstellt. Zu diesem Zeitpunkt kam es bekanntlich nicht zur Konfrontation, aber die Vorbereitungen wurden fortgesetzt, u.a. mit der Erstellung von Listen von künftig zu internierenden Personen. Im Dezember erarbeitete das Ermittlungsbüro des Innenministeriums Entwürfe für Verordnungen über die Grundsätze und Verfahrensweisen der Internierung bzw. über die Schaffung und Organisation von Inhaftierungszentren, desgleichen eine Lagerordnung für die dort zu internierenden Personen. Es wurden mehr als 13 500 Plätze in 34 Strafanstalten vorbereitet. Mitte Oktober 1981 rechnete man mit der Internierung von 4 277 Personen[2]. Die Aktion sollte unter dem Decknamen „Jodła“ [Tanne] laufen.

Historisch wurde der Begriff Internierung in Polen assoziiert mit der Internierung von polnischen Amtsträgern und Soldaten im Krieg vom September 1939 in Rumänien und Ungarn. In der Volksrepublik Polen hatte es keine Internierungen gegeben, nicht einmal in stalinistischen Zeiten. Es handelte sich also um eine nie zuvor erfahrene Form des Freiheitsentzugs. In den ersten Tagen des Kriegsrechts sollten sowohl die öffentliche Meinung als auch die Internierten selbst die Bedeutung des Begriffs kennenlernen.

In der kritischen Dezembernacht setzten sich Einheiten von Miliz und Staatssicherheit entsprechend den vorher erteilten Befehlen mit Brechstangen ausgerüstet in Bewegung, um laut ihren Listen die Verhaftungen vorzunehmen. Die aus ihren Wohnungen geholten Verhafteten wurden zunächst in Arrestzellen der Polizeiwache des jeweiligen Stadtviertels gebracht und danach in die Gefängnisse weiter transportiert, die in Internierungslager umgewandelt worden waren. Am 13. Dezember 1981 erließ der Justizminister die Verordnung Nr. 50/81/CZZK über die Einrichtung von 52 Internierungszentren[3]. Die Einweisung der Internierten erfolgte in der Regel nach Ihrem Wohnort; so kamen die Warschauer in das Gefängnis in Białołęka, die Krakauer nach Montelupi oder nach Uherec, viele Mitglieder der Landeskommission der NSZZ Solidarnosc, die nach deren Beratungen inhaftiert worden waren, kamen nach Strzebielinko. Nach Informationen des Innenministeriums vom 14. Dezember waren von den 4318 Personen, deren Internierung vorgesehen war, 3392 tatsächlich festgenommen worden[4]. Angaben des Innenministeriums vom 5. Januar 1982 sprechen von 2666 Internierten, spezifizieren auch deren geographische Verteilung. Die meisten Internierten gab es in den Wojewodschaften Danzig (257), Breslau (197), Kattowitz (191), Kielce (! – 179) und Warschau (108). Die mächtige Walze ging auch durch kleinere Woiwodschaften – Białystock (79), Elbing (76), Hirschberg (70), Thorn (80), Wałbrzych (77). Relativ milde behandelte man starke Zentren der „Solidarität“ wie die Wojewodschaften Posen (81), Lodz (61), Stettin (63) oder Krakau (40)[5]. Diese offensichtlich unvollständigen Daten sagen vielleicht etwas aus über in den einzelnen Woiwodschaften unterschiedliche Bereitschaft, die Repressionen durchzuführen.

An der Exaktheit der Zahlenangaben lässt die Äußerung des Direktors des Ermittlungsbüros im Innenministerium, Oberst Hipolit Starszak, in einer gemeinsamen Sitzung von Vertretern des Generalstabs und des Stabs des Innenministeriums vom 15. Januar 1982 zweifeln. Er sprach von 5969 verhafteten Personen, von denen ein Teil entlassen wurde, während 87 Personen in Haft genommen wurden. An diesem Tag hätten sich 4971 Personen in den Internierungszentren aufgehalten[6]. Auf einer Sitzung der Leitung des Innenministeriums am 25. Januar sprach Vizeminister Bogusław Stachura davon, dass es aktuell 4549 Internierte gebe und seit Verhängung des Kriegsrechts 6309 Personen interniert worden seien[7].

Zu diesem Zeitpunkt existierten 24 Internierungszentren; über die Hälfte der einen Monat zuvor dazu ausersehenen Zentren war also geschlossen oder gar nicht erst in Betrieb genommen worden. Vier Zentren waren „auf der Basis von Urlaubszentren“ eingerichtet worden[8]. Die meisten wurden entsprechend der Verordnung des Justizministers vom 13. Dezember geschaffen „als selbständige Organisationseinheiten oder gesonderte Abteilungen in Strafanstalten, Untersuchungsgefängnissen und Anstalten für Soziale Anpassung“; die Aufsicht über die Internierten führten Strafvollzugsbeamte[9].

Interniert wurden Menschen verschiedenen Alters, aus unterschiedlichen sozialen Schichten und mit unterschiedlichem Bildungsstand. In der Mehrheit waren es Mitglieder der Betriebskommissionen und der Regionalvorstände der Solidarność sowie Oppositionelle der Zeit vor der August 1980. Nicht groß, doch gesellschaftlich angesehen war der Kreis von Wissenschaftlern der Universitäten und der Polnischen Akademie der Wissenschaften sowie der Literaten; die meisten von ihnen wurden in das Zentrum in Jawor verbracht.

Wie Andrzej Paczkowski feststellt, wurden die Bestimmungen über die Internierung in ausweitender Art angewendet, indem z.B. viele Personen interniert wurden, die von den Gerichten freigesprochen worden waren. Es wurden aber auch Personen interniert, die man verdächtigte, weiterhin gewerkschaftlich tätig zu sein. „Für solche Tätigkeit an sich konnte man durch ein Gericht oder eine Kammer für Ordnungswidrigkeiten verurteilt oder auch interniert werden“[10].

Wir wissen aus damaligen und späteren Erzählungen der Internierten, dass bei den Inhaftierungen oft physische oder psychische Gewalt angewendet wurde. Es kam vor, dass dem Internierten suggeriert wurde, ihm stehe die Exekution oder die Deportation in die UdSSR bevor; davon zeugen die Erinnerungen von Jacek Kuroń, Anna Kowalska oder Tadeusz Mazowiecki. Die Bedingungen an den Internierungsorten waren, besonders am Anfang, mehr als hart. Es gab auch Fälle besonderer Brutalität seitens der Bewacher. So wurden in Wierzchowo Pomorskie am 13. Februar einige Dutzend Personen zusammengeschlagen; in Iława wurde am 25. März ganze Gruppe von Internierten misshandelt, und in Kwidzyn wurden im August 1982 einige Dutzend Personen zusammengeschlagen, davon mehr als 10 Personen sehr schwer.

Ein eigenes Problem waren die ständigen Nachstellungen, denen die Internierten seitens der Offiziere des Sicherheitsdiensts ausgesetzt waren. Bei einer Leitungsbesprechung des Innenministeriums am 11. Januar 1982 empfahl Vizeminister Stachura: „Die Gesamtmaßnahmen gegenüber den Internierten umfassen: Anwerben, Lokalisieren, vorläufige Inhaftierung, Entlassung in der Perspektive der vorläufige Inhaftierung und Entlassung mit dem Ziel zu kompromittieren. Im Endeffekt soll sich die Zahl der Internierten systematisch verringern“[11]. So versuchte man die Internierten zur Unterzeichnung einer Loyalitätserklärung zu zwingen oder – noch schlimmer – ihnen eine Erklärung über ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst abzupressen. Wie Informationen des Innenministeriums zu entnehmen ist, führten Funktionäre des SD bis zum 31. März 1982 12449 Gespräche mit Internierten, wobei sie 3630 Loyalitätserklärungen erlangten und 925 Personen für die Mitarbeit gewannen[12]. Hinter diesen nüchternen Zahlen stehen die Dramen tausender von Menschen, deren Moral auf die Probe gestellt wurde. Sie mussten dem Druck widerstehen, während sie – wie man sich das leicht vorstellen kann – in schlimmste Ängste um ihre Zukunft und die ihrer Nächsten versetzt wurden.

Man versuchte auch, Internierte zur Ausreise aus Polen zu veranlassen. Die Ermunterung dazu gab General Jaruzelski persönlich. In einer Rede im Sejm am 25. Januar erklärte er, dass die Regierenden denjenigen, welche wegen ihrer bisherigen staatsfeindlichen politischen Tätigkeit „sich in anderen Ländern ihrer Wahl niederlassen wollen“, kein Hindernis in den Weg legen wwürden[13]. Wie Andrzej Paczkowski feststellt, begannen die ersten dazu Willigen im Frühjahr 1982 auszureisen, und bis Ende Dezember äußerten ca. 500 Bürger den Wunsch zur Ausreise (zusammen mit den Familien), darunter 1247 ehemalige Internierte; von Letzteren erhielten 921 Personen die Ausreisepapiere. Etwa ein Fünftel der Internierten verließ also das Land. Die Entscheidungen zu emigrieren schwächten das Organisationspotenzial der Solidarność erheblich geschwächt. Ausgereist sind 36 Mitglieder der Landeskommission (also ein Drittel des Gremiums), 229 Mitglieder der Regionalleitungen, 527 Mitglieder von Betriebskommissionen[14]. Die meisten Entscheidungen zur Ausreise fielen in die zweite Hälfte des Jahres 1982 und spiegelten insofern das Scheitern der Hoffnung auf eine Wiederherstellung der vorherigen Lebensumstände im Land[15]. Leider verfüge ich nicht über Statistiken, welche die quantitativen Dimensionen für die einzelnen Regionen dokumentieren. Es ist aber bekannt, dass die Emigration in besonderem Maß die Region Oberschlesien betraf.

Die Zahl der Internierten veränderte sich ständig. Bei einer Sitzung des Stabs des Innenministeriums am 17. Februar war von 2369 inzwischen entlassenen Internierten die Rede, von denen 9 erneut interniert worden waren[16]. In einem Bericht des Stabs für die Operation „Sommer 80“ vom Mai 1982 heißt es, dass im Februar 289, im März 295 und im April 233 Personen interniert worden waren. Insgesamt wurden vom 13. Dezember 1981 bis Ende April 1982 7198 Personen interniert, darunter 2500 ständige Mitarbeiter der Solidarność sowie 669 Mitglieder „illegaler Gruppierungen“ (KSS, KOR, ROPCiO, KPN und andere). Im selben Zeitraum, bis 30. April, wurden 4795 Personen entlassen, die meisten im Januar (1230), März (1090) und April (1023)[17]. Eine große Entlassungswelle fiel auf den 22. Juli – für 913 Personen wurde die Anordnung der Internierung aufgehoben, darunter für alle Frauen. Gleichzeitig wurden die Zahl der Internierungsorte reduziert. Ende August gab es nur noch sieben – in Strzebielnik, Darłówko, Kwidzyn, Rzeszów, Uherec, Białołęka und Grodków. Insgesamt waren dort 864 Personen interniert – in den eigentlichen Zentren freilich nur 562, die übrigen befanden sich in Krankenhäusern, durften sich mit Passierscheinen außerhalb der Zentren bewegen oder saßen in Arrestzellen der Wojewodschaftskommandanturen der Miliz ein; einige waren auch geflohen[18]. Die letzte Gruppe verließ die Zentren am 23. Dezember 1982, aufgrund der Aussetzung des Kriegsrechts und der Auflösung der Internierungszentren mit Ende des Jahres. Aus dem Zentrum in Dałówko kamen damals Tadeusz Mazowiecki, Bronisław Geremek, Andrzej Czuma, Dariusz Kupiecki und Jarosław Guzy frei.

Eher überraschend kam die Einleitung von Voruntersuchungen gegen die Internierten, hatte das Dekret über die Verhängung des Kriegsrechts doch eine Amnestie für alle vor dem 13. Dezember 1981 Taten verkündet, mit Ausnahme von Schwerstverbrechen. Ungeachtet dessen wurden bis Ende April 1982 Voruntersuchungen gegen 121 Internierte eingeleitet, darunter 90 Mitglieder der Solidarność, 18 Mitglieder der Unabhängigen Studentenvereinigung, 18 der Konföderation Unabhängiges Polen und 13 des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter KOR. Im Mai 1982 wurde über Absichten berichtet, Anklage gegen 12 internierte Funktionäre der Solidarność zu erheben[19].

Aufgrund der im Sommer 1983 in der Verwaltungsabteilung des Zentralkomitees der PVAP erstellten Bilanz kann man allgemeine Zahlen nennen. Insgesamt wurden 10132 Internierungsanordnungen gegen 9736 Personen erlassen (396 wurden nach vorheriger Entlassung erneut interniert); betroffen waren 8728 Männer und 1008 Frauen. Von den Internierten wurden 424 Personen vorübergehend inhaftiert und 116 wurden nach ihrer Entlassung aus den Internierungszentren erneut verhaftet[20].

Eine besondere Frage bildet die Verteidigung bzw. Selbstverteidigung der Internierten: es wurden Anstrengungen unternommen, sie ins Krankenhäuser zu verlegen, oder Passierscheine aus gesundheitlichen, familiären oder sogar beruflichen Gründen zu erwirken. An diese Bemühungen waren die Familien der Betroffenen, Anwälte, Vertreter der vorläufig verbotenen gesellschaftlichen oder künstlerischen Organisationen, Angehörige der Hochschulen und Redaktionen beteiligt. Besonders intensiv und oft auch erfolgreich waren die Interventionen seitens der katholischen Kirche, namentlich des Sekretärs des polnischen Episkopats, Erzbischof Bronisław Dąbrowski, aber gewiss auch anderer Bischöfe. Zugleich wurde innerhalb von den Internierungszentren um die Verbesserung der Bedingungen gekämpft. Es handelte sich um kollektive Aktionen, manchmal an Revolten erinnernd, aber auch in solcher Richtung wirkendes individuelles Handeln – von Appellen an die Machthaber bis zu den Protesten, darunter auch Hungerstreiks.

Die Schicksale der Internierten sowie die Geschichte der Internierungslager verdienen, gesondert erforscht zu werden. Besonders aussagekräftig wären hier – neben Erinnerungen und staatlichen Dokumenten – auch die Akten des Komitees des Primas.

Die Verhafteten und Verurteilten

Noch schwieriger ist es, einen Überblick über den Komplex der Verhaftungen, der Prozesse und Gerichtsurteile zu gewinnen sowie darüber, wie diese Urteile vollstreckt wurden. Nach Andrzej Paczkowski wurden bis zum 22. Dezember 1981 491 Personen verhaftet. In den folgenden Monaten des Kriegszustandes, bis Mitte Oktober 1982, wurden ungefähr 5100 Personen wegen politischer Straftaten verurteilt (durch Kriegsgerichte 1396, durch ordentliche Gerichte 3739). Paczkowski hebt hervor, dass die Zahl der Verurteilten um die Hälfte geringer war als die der Internierten[21].

Diese Zahlen sind natürlich entsprechend höher in der Bilanz des gesamten Zeitraumes des Kriegszustandes. Bis 31. Dezember 1982 wurden 10 774 Ermittlungen im Schnellverfahren gegen 13634 Personen eingeleitet, davon wurden 13 208 Menschen in Haft genommen. Für „Vergehen aus politischen Gründen“ verurteilten die Gerichte 1 685 Personen, darunter 395 im Schnellverfahren, für Ordnungswidrigkeiten 376 Personen. Die meisten Urteile (541) lauteten auf Strafen bis zu 3 Jahren Gefängnis, 118 auf 3 Jahre, 49 auf 3-5 Jahre, 5 Strafen auf 5 Jahre; 8 Personen wurden zu 5-8 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Strafvollstreckung wurde in 298 Fällen ausgesetzt; 6 Personen wurden zu eingeschränkter Freiheit verurteilt, 15 zu Geldstrafen[22].

Die Gerichte urteilten milder, als es kraft des Dekrets vom 13. Dezember möglich gewesen wäre, und die Staatsanwälte verzichteten in 4 410 Fällen auf ein Schnellverfahren[23]. Manchmal wurden aber auch die härtest möglichen Urteile gefällt, was auf ein Streben nach Vergeltung hinweist. Ein erschreckendes Beispiel stellen die Urteile gegen die Organisatoren des Streiks in der Hochschule für Seefahrt dar (10 Jahre Gefängnis für Ewa Kubasiewicz, etwas niedrigere Strafen für andere Angeklagte), desgleichen die Urteile gegen die Anführer des Streiks im Danziger Hafen (Haftstrafen bis zu 7,5 Jahren), in den Gruben Wujek und Ziemowit oder in der Hütte Kattowitz. Zu den Schandflecken der Gerichtsbarkeit gehört das Urteil gegen Patrycjusz Kosmowski, der für die Fortsetzung gewerkschaftlicher Tätigkeit zu 6 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, obwohl das Gericht über keinerlei Beweise verfügte und sich allein auf eigene Vermutungen stützte. Über diese Urteile wurde allgemein gesprochen, sie schüchterten ein. Doch die generelle Tendenz war viel gemäßigter, was ein positives Licht auf die polnischen Richter wirft. Man kann sich leicht vorstellen, dass sie unter enormen Druck seitens der politischen Machthaber standen. Wojciech Jaruzelski erklärte am 16. Dezember 1981 bei einer Telekonferenz mit den Ersten Sekretären der Wojewodschaftskomitees der PVAP: „für heute ist eines sehr wichtig, nämlich die Arbeit der Staatsanwälte, der Gerichte anzuspornen, so dass sie in möglichst kurzer Zeit Gerichtentscheide gibt, die glaubwürdig machen, dass die Bestimmungen des Kriegsrechts wirksam sind.“[24]. Auf einer Leitungssitzung des Innenministeriums am 11. Januar 1982 äußerste Vizeminister Stachura die Ansicht, dass die ordentlichen Gerichte besser funktionierten als die Militärgerichte, denn letztere 15% der Angeklagten freigesprochen, die ordentlichen Gerichte dagegen nur 3%. Darauf reagierte Generalstaatsanwalt Lucjan Czubiński: „diese Fälle wurden überwiegend von Richtern mit noch kurzer Berufskarriere verhandelt, worauf schon hingewiesen worden ist“[25].

Im Gegensatz zu den Internierten blieb das Problem der aus politischen Gründen Verurteilten auch nach der Aussetzung des Kriegsrechts sowie nach dessen völligen Aufhebung am 22. Juli 1983 bestehen. Etliche Bestimmungen aus dem Dekret über den Kriegszustand wurden nämlich in die Rechtsordnung übernommen.

Nach einem Rechenschaftsbericht der Verwaltungsabteilung des ZK der PVAP wurden vom 1. Januar bis zum 22. Juli 1983, also in der Zeit der Aussetzung des Kriegsrechts, 1506 Ermittlungen im Schnellverfahren gegen 1438 Personen eingeleitet. Alle Verdächtigten wurden vorläufig festgenommen[26]. Laut einem Rechenschaftsbericht der Staatsanwaltschaft wurden 1983 insgesamt 923 Ermittlungsverfahren mit politischen Charakter gegen 1597 Verdächtigte eingeleitet, wobei 974 Personen inhaftiert wurden.

Am 22. Juli verkündete der Sejm eine Amnestie, womit – wofür viel spricht –ein Papst Johannes Paul II. gegebenes Versprechen eingelöst wurde. Die Staatsanwaltschaften stellten die Ermittlungen gegen 401 Personen ein, die unter dem Verdacht politischer Vergehen verdächtigte und solcher im Kontext gesellschaftlicher Konflikte standen. Unter Nutzung der Amnestie tauchten 711 Beteiligte an den Aktivitäten des Untergrunds wieder auf[27]. Nach Angaben der Machthaber der VRP blieb nur eine ganz kleine Gruppe in Haft: die sogenannte „ Elfer-Gruppe“ (sieben Mitglieder der Landeskommission der Solidarność und vier Mitglieder des KSS KOR), ferner vier verurteilte Anführer von KPN, die Führer der Untergrund-Solidarność Władysław Frasyniuk, Józef Pinior und Piotr Bednarz sowie diejenigen, welche wegen der Organisation der Protests vom 13. Dezember 1981 in Lodz (Andrzej Słowik und Jerzy Kropiwnicki) und in Bielsko-Biała (Patrycjusz Kosmowski) verhaftet worden waren. Für 365 Personen wurde der absolute Freiheitsentzug aufgeboben und 385 wurden andere Grundstrafen erlassen; 116 Personen wurden Freiheitsstrafen über 3 Jahren auf die Hälfte reduziert, und gegen 1 116 Personen wurden die Ermittlungen eingestellt[28]. Die meisten 1982 Verurteilten waren schon in den Monaten zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden, aufgrund besonderer Regelungen, doch habe ich dafür keine genauen Daten.

Dennoch leiteten die Staatsanwaltschaften zwischen dem 23. Juli 1983 und dem Ende des Jahres 313 Verfahren gegen 513 Personen ein, von denen 318 vorläufig inhaftiert wurden[29]. Am 31. Mai 1984 waren in Gefängnissen und anderen Hafteinrichtungen 58 aus politischen Gründen Verurteilte und 667 vorläufig Inhaftierte[30]. Kraft der Amnestie vom Juli 1984 wurden politische Gefangene freigelassen, darunter die „Elfer-Gruppe“ sowie andere Führer der Solidarność und die Führer von KPN, die nicht von der vorherigen Amnestie betroffen gewesen waren. Die Amnestie galt aber nicht für Vergehen wie Spionage und Landesverrat (Art. 122), was ermöglichte, unter dieser Anklage weiter gegen Mitglieder der Vorläufigen Untergrundkoordinationskommission der Solidarność vorzugehen bis Dezember 1984 Bogdan Lis und Piotr Mierzewski in Haft zu halten.

Die Angelegenheit der „Elfer-Gruppe“ verdient gesondert behandelt zu werden. Am 30. Dezember 1981 übergab die Staatsanwaltschaft der Warschauer Woiwodschaft an die Oberste Militärstaatsanwaltschaft die Akten der vier Mitglieder des KSS KOR , denen die Staatsanwaltschaft schon zuvor Straftaten zur Last gelegt hatte. Da für diese Anschuldigungen durch das Kriegsrechtsdekret eine Amnestie gewährt worden war, bemühte sich die Staatsanwaltschaft, Beweise dafür zusammenzutragen, dass die Beschuldigten den gewaltsamen Umsturz der politischen Ordnung der VRP (Strafgesetzbuch Art. 123 in Verbindung mit Art. 128 § 1) angestrebt hätten. Dieses Vergehen, für das sogar die Todesstrafe drohte, war durch die Amnestie nicht gedeckt. Im Protokoll einer Sitzung der Leitung des Innenministeriums vom 18. Januar 1982 heißt es: “Die nächste Aufgabe, die uns der Premierminister übertragen hat, ist der Prozess gegen Kuroń und seine Mittäter wegen staatsfeindlicher Tätigkeit. Damit müssen sich alle operativen Einheit des Sicherheitsdienstes und hauptsächlich das Ermittlungsbüro beschäftigen“[31]. Die Ermittlungen richteten sich gegen Jacek Kuron, Adam Michnik, Jan Lityński, Henryk Wujec, Zbigniew Romaszewski sowie Jan Józef Lipski und Mirosław Chojecki. Am 2. September wurde die entsprechende Beschuldigung gegen Kuron erhoben, am darauf folgenden Tag gegen Michnik, Lityński und Wujec. Sie befanden sich zu dieser Zeit in einem Internierungszentrum, aber vom Moment der offiziellen Beschuldigung an standen sie unter staatsanwaltlicher Anklage[32]. Analoge Beschuldigungen wurden auch gegen Lipski nach dessen Rückkehr aus dem Ausland erhoben, im Januar 1983 ferner gegen Romaszewski, gegen den ein Prozess wegen Leitung des Senders Radio Solidarność lief. Die Akten vieler anderer Aktivisten von KSS KOR wurden zwecks Anstrengung gesonderter Verfahren beiseitegelegt, womit die Amnestiebestimmung des Kriegsrechtsdekrets de facto missachtet wurde.

Noch befremdlicher war der Umgang mit den Solidarność-Führern, die im Moment der Verhängung des Kriegsrechts interniert worden waren. Am 1. Februar 1982 leitete ein Staatsanwalt der Obersten Militärstaatsanwaltschaft, Oberst R. Szczesny, ein Verfahren ein „wegen der Verschwörungstätigkeit einiger Funktionäre der NSZZ Solidarność“ und betraute damit das Ermittlungsbüro des Innenministeriums. Die Ermittlungen, u.a. Verhöre von Zeugen, Durchsuchungen, Analysen der Reden, dauerten bis zum 22. Dezember 1982; dann wurden Andrzej Gwiazda, Jan Rulewski, Seweryn Jaworski, Karol Modzelewski, Grzegorz Palec, Andrzej Rozpłochowski und Marian Jurczyk offiziell beschuldigt[33]. Doch die Ermittlungen im Lauf des Jahres 1983 brachten nicht die erwarteten Resultate, nicht zuletzt wegen der unbeugsamen Haltung der Inhaftierten. Die Angelegenheit der „Elfer-Gruppe“ löste erheblichen Widerstand im Land aus, belastete auch deutlich die Normalisierung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat sowie die Festung der internationalen Position der VRP. Diese Faktoren waren letztlich ausschlaggebend dafür, dass die „Elfer-Gruppe“ in Genuss der Amnestie vom Juli 1984 kam.

Die Gefängnisse füllten sich aber erneut mit Beteiligten an „illegalen“ Aktivitäten. Nach Daten des Helsinki-Komitees wurden im Zeitraum zwischen der Amnestie von 1984 und der von 1986 mindestens 898 Personen aus politischen Gründen strafrechtlich verfolgt, 829 davon in Haft genommen[34]. Die Amnestie, die im Juli 1986 beschlossen wurde, galt für beinahe 400 Personen; in Haft bleiben lediglich einige wegen Spionage und anderen schweren Straftaten Angeklagte[35]. Fortan wurden die Oppositionellen seitens der Behörden mit Geldstrafen belegt oder dazu genötigt, sich vor Kammern zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten zu verantworten; jedoch wurden keine staatsanwaltlichen Ermittlungen mehr angestrengt.

Diese Bilanz bedarf einiger Erläuterungen. Die hier angeführten Zahlen müssen noch weiter überprüft werden, sowohl aufgrund von amtlichen Akten als auch der Daten des Helsinki-Komitees und des Erzbischöflichen Hilfskomitees für die ihrer Freiheit Beraubten und ihrer Familien (des sog. Komitees in der Piwna-Str.). Ein Teil der Dokumente erscheint, obgleich geheim und nur für die Machtzentren erstellt, zweifelhaft. Es ist anzunehmen, dass ein Teil der für politische Taten Verurteilten formell für kriminelle Vergehen verurteilt wurde. Verhältnismäßig viele Verurteilte wurde freilich vor Inkrafttreten der Amnestie entlassen, weshalb die Zahl der aufgrund der Amnestie Freigelassenen in der Regel kleiner ist als die Zahl der Verhafteten oder der Verurteilten.

Es wäre lohnend, eine Bilanz der Tätigkeit der Gerichte zu erstellen und diese nackten Zahlen für die einzelnen Wojewodschaften und Regionen des Landes aufzuschlüsseln, denn das würde viel über die oppositionellen Aktivitäten aussagen. Notwendig sind systematische Forschungen über die Bedingungen in den Gefängnissen sowie über die Geschichte des Kampfes um die Feststellung des Status des politischen Gefangenen.

Aufmerksamkeit verdient auch die Politik der Machthaber „von Amnestie zur Amnestie“, die man als Versuch interpretieren kann, die Oppositionellen mürbe zu machen, sie zur Aufgabe jedweder Aktivität zu zwingen, zugleich aber das Problem der Gefangenen aus Gewissensgründen zu entschärfen. Dabei ging es nicht etwa um humanitäre Beweggründe der Herrschenden, sondern um Konsequenzen aus dem Kampf der Oppositionsbewegung und der Kirche um die Befreiung der politischen Gefangenen.

Andere Repressalien

In der Zeit des Kriegszustandes wurden auch andere Repressalien angewendet, die weniger spektakulär und doch schmerzhaft waren. Bis zum 1. November 1982 verurteilten die Gerichte in Schnellverfahren über 176 000 Personen – beinahe 80 % davon wegen Nichteinhaltung der Polizeistunde, 11 % deswegen, weil sie bei Kontrollen keinen Personalausweis vorweisen konnten. Von Mai bis November 1982 verurteilten die Gerichte über 6 000 Personen wegen Teilnahme an den Straßendemonstrationen. „Die Gerichte verurteilten ohne große Umstände zu Haftstrafen (bis zu 3 Monaten) oder Geldstrafen, auch wenn es nur minimale oder gar keine Schuldbeweise gab. Den Festgesetzten wurde oft der Beistand von Verteidigern verweigert“, schreibt Wojciech Polak[36].

Eine weitere, in ihren Folgen sogar noch schmerzhaftere Repressalie waren die sogenannten Verifikationen, die besonders Journalisten und Richter betrafen. Bis November 1982 ließ der Staatsrat ca. 40 Richter aus politischen Gründen abberufen, weil sie nicht „die Gewähr boten, dass sie ihre Pflichten ordnungsgemäß wahrnehmen“[37]. Etliche Richter, die mit der Solidarność verbunden waren, wurden auf schlechtere Stellen oder zu Gerichten in nahen Ortschaften versetzt. Die zitierte Bemerkung des Generalstaatsanwalts Czubiński zeugt davon, dass auf die Richter und die Rechtsprechung Druck ausgeübt wurde.

Eigene Verifikationskommissionen führten über 10 000 Gespräche mit Mitarbeitern der Medien. Bei den Presseorganen, die zum staatlichen Verlagskonzern „Presse-Buch-Bewegung“ gehörte, wurden 302 Personen entlassen und über 180 wurden andere Arbeitsstellen außerhalb des Konzerns. Von den Chefredakteuren wurden 60 abberufen, desgleichen 78 Stellvertretende Chefredakteure und 57 Redaktionssekretäre. In den Presseorganen, die nicht zu dem Konzern gehörten, also in bei der Presse der Demokratischen Partei und der Vereinigung PAX (Christlich-Soziale Vereinigung), sowie in der Polnischen Presseagentur wurden ca. 100 Journalisten negativ verifiziert. In Hörfunk und Fernsehen wurden „über 500 personelle Entscheidungen“ gefällt; betroffen waren 227 Journalisten und ca. 300 technische Mitarbeiter. Gar nicht verifiziert, also auch nicht mit Berufsverbot belegt wurden 10 % der Journalisten[38].

Besonders schwierig zu bilanzieren sind die Repressalien in den Betrieben, in denen die Mitglieder der Solidarność entlassen oder auf weniger attraktive Stellen versetzt wurden. Die Repressalien verstärkten sich besonders vor und nach den kurzen Streiks von 1982, wodurch es zu einer Schwächung der Solidarność in den Betrieben kam. Darüber informierte die Untergrundpresse, doch es gab keine konkreten Zahlen. Eine Vorstellung vom Umfang der Repressalien gibt die Zahl der Fälle, den die lokalen Berufungskommissionen vorgelegt wurden, welche die Einsprüche von Entlassenen zu prüfen hatten. Im Jahr 1982 gab es 7 821 Einsprüche bei den Kommissionen, also doppelt so viele wie im Jahr zuvor (positiv wurden 18 Prozent der Einsprüche entschieden)[39]. Der Verlust des Arbeitsplatzes zog den Verlust sozialer Leistungen nach sich, unterbrach die Kontinuität der Beschäftigung etc., was sich auch viele Jahre später negativ auf Ansprüche und Einkommen der damals Entlassenen auswirkte.

Eine eigene Form der Einschüchterung bildeten „prophylaktisch-warnende Gespräche“. Besonders viele solcher Gespräche, 13 400, wurden in Dezember 1981 durchgeführt, im Januar 8 467, im Februar 1 917, im März 1 020 und im April 1 486. Im Ergebnis gewann der Sicherheitsdienst 5 719 Personen für eine Zusammenarbeit. Solche Gespräche führte die Miliz – wie notiert wurde – auch in Kreisen von Kriminellen; im selben Zeitraum von Dezember bis April waren es über 88 000 solcher Gespräche, bei denen 973 Personen für die Zusammenarbeit angeworben wurden[40].

Die Repressalien hatten im besprochenen Zeitraum zwei Phasen. Die erste war mit der Einführung des Kriegszustandes und Brechen von direktem Widerstand verbunden. Auf diese Dezember-Phase konzentriert sich die Aufmerksamkeit, die mit den Gedenkfeiern verbunden ist; die damaligen Verfolgungen sind im Bewusstsein der Gesellschaft am stärksten präsent. Die zweite Phase begann mit dem Jahresanfang 1982, als der direkte Widerstand bereits gebrochen war, und zielte darauf ab, auch passive Gegenwehr in der Gesellschaft zu unterbinden und die sich herausbildende Strukturen der Oppositionsbewegung zu zerschlagen; sie hatte auch den Charakter von Säuberungen, die aus Drang nach Vergeltung resultierten. Sie hatte zum Ziel, das System wiederherzustellen, in dem die Gesellschaft sich den Anweisungen und Forderungen der arbiträren Macht passiv unterordnete. Im Kern ging es darum, den menschlichen Charakter und die Moral der Gesellschaft zu brechen.

Der Kriegszustand mit den ihn begleitenden Repressalien war eine Erfahrung, die in der Wirklichkeit des realen Sozialismus seit 1956 unvorstellbar gewesen war. Es geht hier nicht nur um das Ausmaß der Repressalien, sondern auch um ihre lange Dauer. Zugleich ist festzuhalten, dass die faktischen Staatsführer sich nicht auf noch weiterreichende Projekte einließen, wie sie vom dogmatischen Flügel der PVAP vorgeschlagen wurden – z.B. Repressalien auch gegen die Kirche, die dauerhafte Unterbindung der intellektuellen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen oder die vollständige Aufhebung der Autonomie der Hochschulen. Der Umfang sowie die Schärfe der Repressalien wurden schrittweise aus politischen Gründen eingeschränkt, besonders deswegen, weil die Machthaber korrekte Beziehungen zu Kirche unterhalten wollten – das wurde als wichtiger Faktor für die Beruhigung der Gesellschaft angesehen – und weil es notwendig war, die wirtschaftlichen Restriktionen seitens der westlichen Welt zu minimalisieren. Große Bedeutung hatten auch die Verhaltensweisen, die die Gesellschaft an den Tag legte – das Festhalten am Prinzip des gewaltlosen Kampfes sowie die massenhaft entwickelten Untergrundaktivitäten, besonders die verlegerischen.

Aus dem Polnischen von Monika Wrzosek-Müller

[1] Ausführlicher dazu: Stan wojenny w Polsce. Refleksje prawno-polityczne [Der Kriegszustand in Polen. Rechtlich-politische Betrachtungen]. Hrsg. v. F. Prusak. Warszawa 1982.

[2] A. Paczkowski, Droga do ‚mniejszego zła‘. Strategia i taktyka obozu obozu władzy, lipiec 1980-styczeń 1982 [Der Weg zum „kleineren Übel“. Strategie und Taktik des Regierungslagers, Juli 1980-Januar 1982]. Kraków 2002, S. 78, 121, 229.

[3] Stan wojenny w dokumentach władz PRL 1980-1983 [Der Kriegszustand in regierungsamtlichen Dokumenten der VRP 1980-1983]. Hrsg. v. B. Kopka, G. Majchrzak. Warszawa 2001, S. 65 f.

[4] Ebenda, S. 67.

[5] Archiv des Instituts für Nationales Gedenken (AIPN) 0236/315, Fol. 3.

[6] Stan wojenny w Polsce…, S. 138 f. In einer Rede im Parlament am 25. Januar 1982 erklärte Jaruzelski, dass sich 4549 Personen in den Internierungszentren aufhielten und bisher 1760 entlassen worden seien.

[7] AIPN, MSW II, 203, Bl. 59.

[8] Stan wojenny w Polsce…, S. 138 f.

[9] Ebenda, S. 66.

[10] A. Paczkowski, Wojna polsko-jaruzelska. Stan wojenny w Polsce 13.XII.1981-22.VII.1983 [Der Krieg Polen gegen Jaruzelski. Der Kriegszustand in Polen 13.12.1981-22.7.1983]. Warszawa 2006, S. 93.

[11] AIPN MSW II, 203, Bl. 35.

[12] AIPN 0236/315, Fol. 1, Information v. 19.4.1982, Bl. 102. Nicht selten wurden bereits überprüfte geheime Mitarbeiter in die Internierungslager eingeschleust, um Verbindungen, Kontakte zwischen den Internierten, Wege der konspirativen Nachrichtenübermittlung etc. aufzudecken. So wurde diese Rolle z.B. in Białołęka von „Max“ und „Präses“ gespielt. Diese Angaben werden bestätigt durch eine Dokumentation, die der Stab des Innenministeriums für die Operation „Sommer 80“ im Mai 1982 erstellte (AIPN 0398/29, Fol. 1).

[13] Stan wojenny w Polsce…, S. 217.

[14] A. Paczkowski, Wojna polsko-jaruzelska…, S.96.

[15] Bis zum 10.6.1982 entschlossen sich 554 Internierte zur Ausreise, darunter 20 Mitglieder der Landeskommission, 76 Mitglieder von Regionalleitungen und 245 Mitglieder von Betriebskommissionen. (AIPN 0236/315, Fol. 3, Bl. 194).

[16] Stan wojenny w Polsce…, S. 173.

[17] AIPN 0389/29, Fol. 1, unpaginiert.

[18] Stan wojenny w Polsce…, S. 307 f.

[19] AIPN 0389/29, Fol. 1, Tätigkeitsbericht des Stabs des Innenministeriums „Sommer 80“, Mai 1982, unpaginiert.

[20] Ebenda, S. 381.

[21] A. Paczkowski, Wojna polsko-jaruzelska…, S. 98.

[22] Stan wojenny w Polsce…, S. 376 f.

[23] Ebenda, S. 376.

[24] Ebenda, S. 90.

[25] AIPN MSW II, 203, Bl. 35.

[26] Ebenda, S. 377. Erstaunlich ist hier die Klassifikation der Straftaten, z.B. 1403 kriminelle Akte – gegen Leben, Gesundheit oder Eigentum, obgleich bekannt ist, dass die Verhaftungen wegen Fortsetzung gewerkschaftlicher Tätigkeit, Anstiftung zu Unruhen, Verbreitung „falscher“ Informationen etc. erfolgten.

[27] Archiv für Neue Akten (AAN) XIA/1453, Bl. 124, 192 f.

[28] AAN V/234, Notiz der Kanzlei des Sekretariats des Zentralkomitees der PVAP, Bl. 29 f.

[29] AAN XIA/1453, Bl. 124.

[30] AAN V/234, Bl. 20.

[31] AIPN, MSW II, 203, Bl. 52.

[32] AIPN 514/1, Fol. 3, Bericht über die Ermittlungen gegen Kuroń und andere, Bl. 160-167.


[33] AIPN 514/4, Fol. 1, Bl. 1 f. In der ersten Phase der Ermittlungen verfolgte man die Absicht, mehr als 10 Mitglieder der Landeskommission der Solidarność in die Untersuchung einzubeziehen, und es wurde erwogen, auch Lech Wałęsa vor Gericht zu stellen. Erwogen wurde auch ein Prozess gegen die Vorsitzenden des Unabhängigen Studentenverbandes.

[34] J. Holzer, K. Leski, Solidarność w podziemiu [Die „Solidarität“ im Untergrund]. Łódź 1990, S. 117.

[35] Solidarność podziemna 1981-1989 [Die Untergrund-„Solidarität“ 1981-1989]. Hrsg. v. A. Friszke. Warszawa 2006, S. 160.

[36] W. Polak, Stan wojenny – pierwsze dni [Der Kriegszustand – die ersten Tage]. Gdańsk 2006, S. 388.

[37] Ebenda, S. 375.

[38] Stan wojenny w dokumantach…, S. 272

[39]T. Rudzikowski, Stan wojenny w Warszawie i województwie stołecznym 1981-1983 [Kriegszustand in Warschau und in der Wojewodschaft 1981-1983], Warszawa 2009, S. 327

[40] AIPN 0398/29, Fol. 1, Rechenschaftsbericht des Stabs beim Innenministerium „Sommer 80“, Mai 1982, unpaginiert.